„Bin ich doch den ganzen Tag nicht Herr einer Minute gewesen. Das fragt, das komplimentiert, das schnattert unaufhörlich; will alles wissen und weiß doch alles schon besser. Keinen Augenblick lassen sie den lieben Gast allein; auf jedem Schritt und Tritt schleichen sie ihm nach. Er muß essen ohne Hunger, trinken ohne Durst, sich setzen ohne Müdigkeit; ihre Wunderwerke sehen, ihre Stadtklatschereien hören und alles loben und preisen.“
Münstermaifeld Mitte April im Jahr 2023 oder doch das aus August von Kotzebues Feder stammende Kleinstädtchen Krähwinkel im Jahre 1801…?! Gleichwohl Karl Olmers im letzten Akt Kotzebues Lustspiel „Die deutschen Kleinstädter“ durchaus mit den oben abgedruckten Zeilen seinen Aufenthalt in Letzterem reflektiert, staunten die zahlreichen und begeisterten Zuschauer der Theater-Aufführung der Theater-AG des Kurfürst-Balduin-Gymnasiums in Münstermaifeld nicht nur nicht schlecht ob der sehr überzeugend dargestellten Performance der Schüler, sondern gleichzeitig auch ob der auf vielen Ebenen durchaus aktuellen Thematiken des nunmehr bereits 200 Jahre alten Stückes. Doch der Reihe nach:
Nachdem der Zuschauerraum aufgrund des regen Interesses kurzerhand noch erweitert werden musste, eröffnete Sabine (gespielt von Merle Münch) in einem ebenso sentimentalen wie aufgewühlten Monolog die Szenerie, und zwar, dass sie, aus dem Kleinstädtchen Krähwinkel stammend, sich während ihres Aufenthalts in der Residenzstadt in Karl Olmers verliebt hat. Die Problematik, die dieser Liebesbeziehung im Wege steht, wird spätestens dann klar, wenn im Laufe des Geschehens weitere Krähwinkeler auftauchen: Maria Ternes und Aurelia Steffens brillierten beispielsweise in ihren Rollen als traditionsbewusste Großmutter sowie Tante Sabines, die diese auf ihre anstehende Hochzeit mit dem ebenso Eingeborenen Herrn Sperling vorbereiten. Dieser, in all seinen karikativen Zügen herausragend von Elias Tetzlaff dargestellte Künstler ist gleichsam der Favorit von Sabines Vater, dem Bürgermeister Krähwinkels, dessen opportunistischen Charakter Connor Borko gesten- und facettenreich dem Publikum darbot. Wenngleich das durchaus textlich umfangreiche Stück den jungen Schauspielern Einiges abverlangte, schafften sie es umfänglich, den Zuschauern knapp drei kurzweilige, unterhaltsame oder, um die Dankesworte der Schulleiterin des Kurfürst-Balduin-Gymnasiums, Frau Hofmann, aufzugreifen, „schlichtweg witzige“ Stunden zu bescheren, was ihnen verdientermaßen mit einem minutenlang anhaltenden Applaus am Ende des Stückes gedankt wurde.
Zurück zu Sabines Situation: Als der heiß ersehnte, aufgrund der kleinstädtischen Klatsch- und Tratschaktionen – heute würde man vom Verbreiten von fake news sprechen – zwischenzeitlich fälschlicherweise als König erwartete Olmers (Samuel Lenz) nun endlich auftaucht, schlägt die Stunde der Krähwinkeler High-Society in Form der Damen Brendel (Anna Levy Geiermann), Korngold (Justine Scholl), Morgenrot (Anja Rennecke) und Blücher (Merle Scheunert), die nicht nur das spießige, obrigkeitsanbiedernde, lediglich auf Äußerlichkeiten bedachte Kleinbürgertum (man denke an heutige „social media“-Kanäle) authentisch auf die Bühne brachten, sondern sich ebenso im Hantieren der vielsilbigen Titelbezeichnungen, die nochmals das übertriebene Geltungsbedürfnis der Kleinstädter auf die Spitze trieben, profilierten („Frau Oberfloß- und Fischmeisterin“, „Frau Untersteuereinnehmerin“, um nur einige Beispiele zu nennen). Sie machen es Olmers gemeinsam mit der gesamten Dorfbevölkerung, zu der neben den beiden Hausangestellten Elisabeth (Lara Schulz) und Margarethe (Emily Schon), der Bäuerin Magdalena (Annabelle Kollig) auch die Nachtwächter (Tawan Kampa und Jannis Bäumler) sowie die Kinder Clara (Ina Henneberger), Wilhelm (Marcel Olenberger), Amalie (Ella Reinhardt), Katharina (Luisa Kollig) und der Aufseher Klaus (Vanessa Smirnov) gehören, schwer bis nahezu unmöglich, in Ruhe mit seiner Sabine sprechen zu können, und sind auf der anderen Seite gleichzeitig empört über dessen großstädtische Grobheit, die die Netiquette der Kleinstadt so gar nicht widerspiegelt.
Letztlich überwindet er aber doch die Naivität der deutschen Kleinstädter, überzeugt gemeinsam mit seiner Sabine den Bürgermeister von sich und seinem Nutzen für ihn, und es kommt nach einigen humorvollen und überraschenden Wendungen final gar zu drei Verlobungen auf der Bühne inklusive einer kleinen tänzerischen Choreografie aller Schauspieler.
Unter der Regie von Stefan Kliemt und Marie-Christine Kaiser ist eine anspruchsvolle, das Publikum durchgehend bestens unterhaltende Inszenierung entstanden, die durch ein stimmiges Bühnenbild, passend vom Technikteam um Jakob Leusch, Klara Spies und Ole Leonard eingesetzte Licht- und Soundeffekte, das Kreieren von den Zuschauern noch lange im Gedächtnis bleibenden komischen Bildern, die während der Aufführung für etliche Lacher gesorgt haben – man denke hier beispielsweise an den Auftritt der Nachtwächter Senior und Junior, das Zurechtweisen der Kinder durch Herrn Sperling oder den verzweifelt nach seinen Würsten suchenden Klaus – unterstützt wurden. Im selben Atemzug ist zudem die musikalische Unterstützung des Stückes durch den unter der Leitung von Lisa Weber aufgetretenen KuBa-Chor zu nennen, dem Sofia Carranza, Leandra Engberg, Lisa Güldenpfennig, Jana-Marie Just, Elisa Kunantz und Johanna Thomas angehörten. Ihnen allen gebührte der Dank des Publikums sowie Frau Hofmanns, die in Ihrer kurzen Ansprache passenderweise auch auf die Wichtigkeit des Theaterspielens im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrages von Schule hinwies: Persönlichkeitsentwicklung, Kommunikationsfähigkeit, Selbsterfahrung, die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und viele weitere Kompetenzen werden hier angebahnt, entwickelt und gefördert.
Nicht unerwähnt sollte schließlich noch die selbstlose und reflektierte, aus den Reihen des Ensembles erwachsene Spendenaktion für afrikanische Kinder bleiben, die diesen zwar langen, aber für alle Beteiligten gewinnbringenden Abend abrundete.